Unser Stammtisch verfolgt ein offenes Konzept. Das bedeutet, dass wir germanische Heiden, keltische Heiden und Hexen in unseren Reihen haben und offen für alle paganen Richtungen sind. Da wir uns auf unsere Gemeinsamkeiten besinnen, gewinnen wir alle aus dieser Situation und können unseren Horizont und unser Wissen kontinuierlich erweitern.
Wenn wir uns diese Bezeichnungen, wie z.B. germanischer Heide aber mal genauer ansehen, fällt schon in unserer Gruppe auf, dass dies sehr unterschiedlich interpretiert wird. Der eine hat einen philosophischen Zugang zum Heidentum, der andere einen stark theistischen, der eine legt den Focus auf die Ahnenverehrung, der andere auf die Götter und manch einer sogar auf Loki und die Riesen. Unterschiedliche Aspekte derselben „Sache“ sprechen die Heiden unterschiedlich an und beschäftigen diese in verschiedenster Intensität. Diese Schwerpunkte verändern sich in der Regel auch im Laufe der Zeit. Mein individuelles Heidentum ist zum Beispiel heute ein ganz anderes als vor zehn Jahren. Es entwickelt sich fortlaufend. In der Gruppe, wie bei unserem Stammtisch, ist das oftmals übersichtlich und man kennt einander – oder lernt sich kennen und verstehen.
Wenn wir den Blick mal über das gesamte Heidentum in Deutschland schweifen lässt, dann stellt man fest, dass jede grobe heidnische Richtung so ihre Grabenkämpfe hat. Ich lasse jetzt mal bewusst den rechten Rand außen vor, es geht mir in erster Linie um das Heidentum, welches im Selbstverständnis eine recht deutliche Abgrenzung zu diesem Bereich hat.
Stark vereinfacht lässt sich feststellen, dass es im Wesentlichen – nach meiner Beobachtung – folgende Ausprägungen von Heiden gibt, auch wenn es in dieser Beschreibung jetzt zunächst nur sehr oberflächliche Pauschalisierungen sind und Überschneidungen die Regel:
1. Die Heiden, die sich als Heiden einer alten, mehr oder weniger ungebrochenen Tradition sehen. Oftmals ist Gewandung in diesen Kreisen weit verbreitet. Da aber tatsächlich historisch gesehen sehr viel verloren gegangen ist, ist die Quellenlage nicht immer eindeutig und rekonstruiert. Dennoch ist ein klarer Hang zum Alten erkennbar, ein Hauch Reenactment im Heidentum ohne unbedingt historisch authentisch sein zu können. Daraus können sich sich auch sehr fantasylastige Formen entwickeln.
2. Die Heiden, die sich als moderne Heiden verstehen. Man versucht das Heidentum, in die heutige Zeit zu transportieren, und hat in der Regel auch kein Problem damit neue Rituale und Traditionen zu entwickeln oder zu übernehmen. Gewandung ist hier eher selten. Oft wird hier eine „Was nicht passt – wird passend gemacht“-Mentalität unterstellt.
Dann gibt es noch die Frage wie wichtig die Quellen sind. Während es sehr akademisch orientierte Heiden gibt, denen es wichtig ist für alles eine Quelle nennen zu können und viele Traditionen und Rituale rekonstruieren, gibt es dann auch die Heiden die weitaus mehr Wert auf ihr „Bauchgefühl“ legen. Hier gibt es viel Konfliktpotenzial, denn währen die „wissenschaftlichen“ Heiden oftmals arrogant wirken, da diese alles hinterfragen und so manches „spirituelles Kartenhaus“ in ihrem meistens gutgemeinten Aufklärungswillen einfach so einstürzen lassen, das so manch anderem „Bauchgefühl“-Heiden sehr wichtig geworden sein mag. In sozialen Netzwerken und Foren im Internet kann man solche Diskussionen immer wieder beobachten. Das Problem, das dadurch entsteht, ist meiner Meinung nach, dass beide Gruppen anfangen unter sich zu bleiben, und die einen womöglich den Bezug zum gelebten Heidentum in Ihren Diskussionen verlieren, während die anderen in eine Blase geraten, die auch den Weg in gefährlichere Theorien, wie der Ariosophie ebnen, eine Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung gegenüber der Wissenschaft entstehen lassen können. Häufig sehe ich in dieser Gruppe leider einen Hang dubiose Symboliken (z. B. Schwarze Sonne, Kolvrat) zu nutzen bzw. zu relativieren oder eine Affinität zu Verschwörungstheorien entstehen (besonders häufig zur Ablehnung der Schulmedizin). Die Situation wirkt also häufig wie „Spiritualität gegen Wissenschaft“.
Besonders heikel ist allerdings wenn die Medien das Heidentum darstellen. Ein durchschnittlicher Journalist geht da nicht mit dem erforderlichen Fingerspitzengefühl heran, bzw. weiß nichts von den Strömungen des Heidentums. Natürlich ist es für einen Journalisten und auch für die Öffentlichkeit interessanter über die zu berichten oder zu erfahren, welche herausstechen und auffallen. Und während es den einen Heidengruppen und den Vereinen darum geht, den Heiden in der Mitte der Gesellschaft darzustellen und Vorurteile abzubauen, mit Quellen und Grundlagen eine gewisse Seriosität zu vermitteln, stellt die andere Heidengruppe das Paradiesvogelimage heraus und stellt sich so bewusst abseits der Gesellschaft. Entweder durch das äußere Erscheinungsbild oder bspw. durch zur Schau gestellte esoterische Praktiken. Ich finde das problematisch da man unter Umständen gehemmt ist sich als Heide zu „outen“, da dies in der öffentlichen Wahrnehmung ggf. negativ aufgefasst wird. Besonders wenn man öffentlich für einen Stammtisch oder einen Verein aktiv ist, kann das im Privatleben oder Berufsleben zu Konflikten oder Diskussionen führen. Das kann in der Heidenszene natürlich weiter zur Eskalation führen und die Gräben weiter aufreißen, was von außen betrachtet dann wie eine zerstrittene und uneinige Heidenszene aussieht. Hier werden dann bestimmte Ursachen reingedeutet, wie Egozentrik einzelner, Arroganz und Geltungssucht anderer Gruppen, oder gar ein Missionierungsziel oder Dogmatisierungen. Ich denke das ist allerdings lediglich die Folge des Unverständnisses, dass es es nicht ein Heidentum oder eine Heidenszene, mit einer ähnlichen Zielsetzung gibt, sondern nach meiner Auffassung verschiedenste Heidentümer, die fast unterschiedlicher und teilweise sogar gegensätzlicher kaum sein könnten. Probleme gibt es immer dann, wenn jemand von intern oder extern versucht das Heidentum zu definieren und allgemeingültig darzustellen – denn das kann nicht funktionieren und wird immer zu Konflikten führen.
Eine Lösung für dieses Problem in Gänze kann ich hier auch nicht bieten, nur ein persönliches Fazit ziehen.
Wichtig ist natürlich erst mal das Besinnen auf die Gemeinsamkeiten und der der offene Austausch. Es darf auf keinen Fall der Wunsch oder der Eindruck entstehen den anderen überzeugen zu wollen. Austausch kann nur dann funktionieren wenn man bereit ist voneinander zu lernen. Natürlich ist das etwas differenzierter zu sehen, wenn z. B. Thesen der Ariosophie , Theosophie oder rechte, bzw. NS-Propaganda und Symboliken unter der Fahne des Heidentums verbreitet werden. Dagegen muss vehement und konsequent vorgegangen werden. Aber auch hier erreicht man mit Fingerspitzengefühl oft mehr als nur mit dem erhobenen Zeigefinger, vor allem wenn es aus Unwissenheit passiert. Man muss auch akzeptieren, dass nicht jeder Heide Lust, Zeit oder die Möglichkeiten hat sich mit archäologischen Erkenntnissen oder mit den Thesen von C.G. Jung zu befassen und einfach die Spiritualität oder das Gefühl lebt, die beispielsweise am Blótfeuer oder schlicht bei einem Waldspaziergang entsteht. Andersherum sollte man dann aber auch unterscheiden können zwischen der privaten und erlebten Spiritualität und Auffassung und dem was man ggf. als allgemeingültig darstellen kann.
Wenn man Veranstaltungen organisiert, Interviews gibt oder Blogs bzw. Beiträge in sozialen Netzwerken oder Foren schreibt sollte man tunlichst vermeiden sich anzumaßen für das ganze Heidentum zu sprechen oder zu schreiben oder gar über die jeweils andere Seite herzuziehen. Ich denke wenn man diese Punkte beherzigt und erkennt, dass das Heidentum für jeden ein bisschen anders ist kann man diese Grabenkämpfe vermeiden und insgesamt verringern. Was bei uns beim Stammtisch im Kleinen möglich ist, kann theoretisch auch im Großen möglich sein.
Anmerkung des Autors: Der Vollständigkeit halber möchte ich anfügen, dass der Text ausschließlich meine Meinung und Gedanken wiedergibt und nicht stellvertretend für den ganzen Stammtisch steht.